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Windsurfen ist wie Zauberei

Eine Stunde lang stand ich auf dem Surfbrett und wurde zur Herrscherin der Elemente - zumindest gefühlt.

Wer windsurfen kann, der beherrscht Wind, Wasser und das Brett. In einer guten Stunde habe ich Windsurfen gelernt. Bild: Wagenaar

Sobald ich auf dem Surfbrett stehe, bin ich in einer anderen Welt. Eine Welt, in der es normal ist, übers Wasser zu gleiten und von einer unsichtbaren Kraft angeschoben zu werden. Die Elemente Wasser und Luft sind beim Windsurfen meine Freunde. Sie helfen mir; bringen mich voran. In diesem Moment sind sie für mich die Einzigen, die existieren. Ansonsten ist da nur die Ruhe und Frieden. Ich darf in diese Welt hinein tauchen und ein Teil von ihr werden.

Eine Stunde zuvor. Mit Sportkleidung stehe ich am Ufer eines Sees in Ostfriesland. „Das Ziel für heute ist, dass du auf dem Brett in die Startposition kommen und losfahren kannst“, sagt Surflehrer Jens Radden. Das kommt mir etwas utopisch vor.


Der Wind ist der Chef


Bei 27 Grad Außentemperatur steigt in mir die Urlaubsstimmung. „Aus welcher Richtung kommt der Wind?“, fragt mich Radden. Ich sehe zu den zwei Fahnen über uns, die sich kaum bewegen. Windstärke Eins. Nach einem leichten Zug bestimmen wir die Windrichtung. „Der Wind ist der Chef“, macht mir der 56-jährige Wassersportlehrer klar.


Ich stelle den Segelmast zwischen meine Füße. Dann bringt mir der Südbrookmerlander Zählen bei: eins, zwei drei. Jede Zahl bekommt eine Bewegung. Immer wieder wiederholen wir die drei Schritte. Etwa eine Stunde lang, bis ich das Gefühl habe, diese Choreographie selbst im Schlaf zu können. Erst dann lässt mich Radden aufs Wasser.


Im Gleichgewicht


Nachdem ich mir einen Neoprenanzug angezogen habe – das allein könnte eine eigene Sportart sein – steige ich ins warme, hüfthohe Wasser und ziehe mein Board mit Segel 20 Meter vom Ufer entfernt. „Eins!“, ruft Radden mir vom Ufer zu. Ich soll aufs Brett steigen? Habe ich das richtig verstanden? Ich fühle mich nicht bereit. Muss ich nicht erst lernen, das Gleichgewicht zu halten? Trotzdem gehorche ich. Meine Füße stelle ich links und rechts neben den Mastfuß (die Stelle, wo das Segel an dem Brett befestigt ist).


Langsam richte ich mich auf. Meine Füße versuchen, das Wackeln des Bretts auszubalancieren – und ich bin überrascht. Mir fällt es erstaunlich leicht, das Gleichgewicht zu halten. Mit einem Seil ziehe ich das Segel aus dem Wasser. „Ganz langsam!“, ruft der Surf-Profi. Dann stehe ich in Position Eins. Meine Beine sind noch immer in ständiger Bewegung. Das kostet viel Kraft, wie ich später merken werden. Aber ich kann mich auf dem Brett halten.


Zauberei


„Zwei!“ Ich stelle meinen Fuß auf die andere Seite des Mastfußes. Dann ziehe ich an dem Mast und richte das Segel auf. Ich kann mich halten. „Drei!“ Ich greife mit zwei Fingern nach dem Gabelbaum (die Lenkstange), bewege das Segel mit viel Fingerspitzengefühl und wenig Kraft – und fahre.

Es kommt mir vor wie Zauberei. Ich spüre die unsichtbare Kraft. Merke, wie sich mich anschiebt. Für einen Moment denke ich, einen Motor bekommen zu haben. Aber gleichzeitig ist da diese unfassbare Ruhe. Nur das Wasser, der Wind und ich – beste Freunde. Trotz Windstärke Eins werde ich immer schneller. Kurz vor dem Ufer springe ich ab. Lenken und umdrehen kann ich nicht – noch nicht.


Fällt das Segel ins Wasser, muss man es eben wieder hoch ziehen. Bild: Wagenaar

Herrscherin der Elemente


Mein Surflehrer mit den grauen Locken und dem Tattoo einer Sonne am Knöchel springt vom Ufer auf sein Board und fährt in so einer entspannten Haltung zu mir herüber, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass er keinen Motor hat.

„Du musst das Segel in den Händen behalten und um den Mast herum laufen.“ Ich befolge seiner Anweisung. Nach meinem ersten Schritt falle ich ins Wasser – zum ersten und einzigen Mal an diesem Tag. Beim zweiten Versuch klappt es. Erst als ich wieder aufschaue, merke ich, dass ich mein Board mit Bug und Heck um 180 Grad gedreht habe, ohne es bemerkt zu haben. Zauberei.

Ich wiederhole die Schritte, fahre von einer Seite zur anderen, übe das Wenden und Lenken – und genieße dabei diesen Moment, in dem ich mich dank Jens Radden wie die Herrscherin der Elemente fühle.

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